Psychotherapeutische Akutbehandlung – Hilfe gegen lange Wartezeiten auf Psychotherapie?

Psychotherapeutische Akutbehandlung

Mit der Reform der Psychotherapie-Richtlinie führte der Gesetzgeber im April 2017 eine sogenannte psychotherapeutische Akutbehandlung ein.

Dieser Beitrag erklärt deren Ziel und Inhalt, Umfang und Ablauf.

In aller Kürze: die Fakten

Psychotherapeutische Akutbehandlung:

Mit einer psychotherapeutischen Kassenzulassung können Sie ihren Patient*innen eine psychotherapeutische Akutbehandlung anbieten. Diese ist nur anzeigepflichtig, muss also der Krankenkasse lediglich (mittels des Formulars PTV12) mitgeteilt werden.

Die Behandlung soll zeitnah nach einer psychotherapeutischen Sprechstunde beginnen.

  • Ziel ist die akute Krisenintervention sowie die „Vermeidung von Fixierung und Chronifizierung psychischer Symptomatik“.
  • Die Behandlung umfasst maximal 12x 50 min. oder 24x 25 min., die proKrankheitsfall verwendet werden können.
  • Vor Beginn einer nachfolgenden Richtlinien-Psychotherapie müssen mindestens zwei probatorische Sitzungen durchgeführt werden.
  • Nach Antragstellung können die verbleibenden Sitzungen der psychotherapeutischen Akutbehandlung sowie die restlichen probatorischen Sitzungen noch abgerechnet werden.
  • Die bereits erfolgten Sitzungen einer psychotherapeutischen Akutbehandlung werden auf das beantragte Stundenkontingent einer Richtlinien-Psychotherapie angerechnet.
  • Soll eine Kurzzeit-Psychotherapie durchgeführt werden, können im Anschluss an eine psychotherapeutische Akutbehandlung nur noch 12 Sitzungen KZT als sogenannte KZT 2 beantragt werden.
  • Nach Abschluss einer Richtlinien-Psychotherapie soll eine Akutbehandlung frühestens nach einem halben Jahr erfolgen.

Auch vor der Akutbehandlung soll eine Abklärung möglicher somatischer Erkrankungen erfolgen, die in Verbindung mit der zur Behandlung führenden Symptomatik stehen könnte. Anders als bei antragspflichtigen Leistungen, die von psychologischen Psychotherapeut*innen angeboten werden, ist der sogenannte Konsiliarbericht durch eine*n Ärzt*in jedoch nicht zwingend erforderlich.

Welche Besonderheiten gelten für die psychotherapeutische Akutbehandlung?

Diese Sonderform der psychotherapeutischen Behandlung ist nicht antragspflichtig. Sie muss der Krankenversicherung nur mittels eines dafür neu entwickelten Formulars angezeigt werden.

Mit dem „PTV12“ melden Therapeut*in und Patient*in gemeinsam den Beginn einer Akutbehandlung, und tragen den oder die Termin/e von mindestens 50 min. psychotherapeutischer Sprechstunde ein. Falls diese Behandlung im Anschluss an die Entlassung aus einer stationären Krankenhausbehandlung oder einer Reha-Maßnahme beginnt, kann die Sprechstunde entfallen (muss sie aber nicht).

Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die stationäre oder Reha-Behandlung wegen einer Diagnose nach § 26 der Psychotherapie-Richtlinie durchgeführt wurde.

Das sind die Diagnosen, die auch die Indikation einer Richtlinien-Psychotherapie ermöglichen.

Der Psychotherapeut ist in der Terminvergabe für die Akutbehandlung innerhalb von vier Quartalen frei.

Er kann also z.B. einen Termin à 50 min. pro Monat anbieten, und hätte damit – den Beginn der Behandlung innerhalb von 14 Tagen nach Indikationsstellung vorausgesetzt – die Möglichkeit, 12 x 50 min. Termine zu nutzen.

Gibt es inhaltliche Vorgaben?

Die Akutbehandlung dient der Soforthilfe im Krisenfall. Sie ist nur als Einzelbehandlung möglich, ggf. unter Einbeziehung von Bezugspersonen.  Das sind die Familie und Partner*in bei Erwachsenen, bei Kindern und Jugendlichen auch das soziale Umfeld.

Ziel ist eine „Besserung akuter psychischer Krisen- und Ausnahmezustände“, nicht die „umfassende Bearbeitung zugrundeliegender ätiopathogenetischer Einflussfaktoren“.

Ein besonderes Augenmerk sollen Sie als Psychotherapeut*in auch auf Gefährdungsaspekte richten. So können Sie gegebenenfalls weitere Maßnahmen wie zum Beispiel eine stationäre Behandlung frühzeitig einleiten.

Wenn eine Akutbehandlung als alleinige Behandlungsmaßnahme nicht ausreichend ist, soll eine weiterführende Behandlung vorbereitet werden, etwa eine ambulante oder stationäre Psychotherapie.

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Wo liegen die Unterschiede zur bisherigen Kurzzeit-Psychotherapie?

Ein wesentlicher Unterschied zur KZT liegt im Wegfall der Antragspflicht. Die Behandlung kann umgehend begonnen werden.

Auch eine KZT kann jedoch bei fehlender Gutachterpflicht schnell begonnen werden. Die Gutachterpflicht besteht nur, wenn innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren vor Beantragung bereits eine Psychotherapie durchgeführt wurde.

Eine beantragte KZT gilt zudem nach einer Frist von 3 Wochen nach Zugang des Antrags auf Kostenübernahme bei der Krankenversicherung automatisch als bewilligt.

Länger hat die Versicherung nur dann Zeit, wenn sie schwerwiegende Gründe für eine Verzögerung rechtzeitig schriftlich mitteilt.

Somit ist der zeitnahe Beginn der Behandlung auch für eine KZT grundsätzlich gewährleistet.

Diese Möglichkeit, eine Psychotherapie umgehend beginnen zu können, gilt um so mehr, als bereits jetzt psychotherapeutische Gesprächsziffern (EBM: 23220) existieren, die nicht antragspflichtig sind, und eine Behandlung ermöglichen, bevor eine antragspflichtige Leistung genehmigt wird. Der Nachteil für den/die Psychotherapeut*in ist dabei jedoch, dass diese psychotherapeutischen Gespräche deutlich schlechter honoriert werden als Sitzungen einer psychotherapeutischen Akutbehandlung oder einer Richtlinien-Psychotherapie.

In Verbindung mit den probatorischen Sitzungen wäre also eine sofortige Behandlung schon heute gewährleistet, von ganz seltenen Ausnahmen einmal abgesehen.

Psychotherapeutische Akutbehandlung als Mittel gegen lange Wartezeiten auf eine Psychotherapie?

Die Verhandlungen um die psychotherapeutische Akutbehandlung wurden von den beteiligten Parteien auch unter dem Druck der unzumutbar langen Wartezeiten für Patient*innen geführt.

Dementsprechend hoch war der Wille der Beteiligten, mit der Reform auch eine Möglichkeit zu finden, um auf dieses Problem zu reagieren.

In wiefern jedoch diese Maßnahmen dazu geeignet sind, wird der weitere Verlauf zeigen. Vieles spricht dagegen. Durch die neuen Regelungen wurde nämlich die Gesamtzahl der zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten nicht erhöht.

Manche Kritiker*innen äußern sogar die Befürchtung, dass das Gegenteil der Fall sein wird.

Bereits heute ist die Zahl der Kurzzeit-Psychotherapien sehr hoch. Die Zahl der durch kürzere Behandlungszeiten (wie durch die nur 12-stündige Akutbehandlung) frei werdenden Behandlungsplätze kann also nicht größer werden. Dazu muss die Bedarfsplanung an die konkreten, aktuellen Behandlungsbedingungen anpassen.

Die psychotherapeutische Akutbehandlung vermindert die Zahl der Stunden, die für eine Behandlung angesetzt werden kann, auf maximal 12 Stunden pro Krankheitsfall. Es ist jedoch davon auszugehen, dass ein Großteil der Patienten mit dieser geringen Stundenzahl nicht befriedigend behandelt werden kann. Danach muss also auch weiterhin eine Psychotherapie beantragt werden.

Da die Einführung der Sprechstundenpflicht die Zahl an Stunden, die ein*e Psychotherapeut*in vorhalten muss, noch weiter erhöht, bleibt letztlich zweifelhaft, ob sich dadurch die Versorgungssituation verbessern wird.

Meine fachliche Bewertung der psychotherapeutischen Akutbehandlung

Womöglich ist es kein Zufall, dass auf dem neuen Formular PTV12 „Anzeige der Akutbehandlung/Beendigung einer Psychotherapie“ zwei der wichtigen Neuerungen in der Reform 2017 der Psychotherapie-Richtlinien zusammen auf einem Blatt erscheinen. Sie definieren einen neuen Anfang und ein neues Ende einer Richtlinien-Psychotherapie:

Es hat den Anschein, als würde mit beiden Neuerungen besonderer Wert auf Patientenbedürfnisse gelegt. Der kurzfristige Beginn einer Psychotherapie klingt mit der psychotherapeutischen Akutbehandlung endlich erreichbar.

In Wirklichkeit war jedoch auch vor der Einführung der neuen Richtlinie eine solche Akutbehandlung möglich, sozialrechtlich erwünscht und abrechnungstechnisch realisierbar. Es scheint mir mehr um ein politisches Zeichen angesichts der langen Wartezeiten zu gehen. Die ließe sich jedoch durch eine qualifiziertere Bedarfsplanung wahrscheinlich besser reduzieren.

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